Sektion 6

Zurück zur Übersicht

Virtualität als Triebfeder sprachlich-textueller Evolution

Haus 1, Raum T-1006 (Kellergeschoss im Turm) | Building 1, Room T-1006 (tower, basement level)

Sektionsleitung und Kontakt:
Nadine Rentel (Zwickau), E-Mail: Nadine.Rentel@fh-zwickau.de
Tilman Schröder (München), E-Mail: tilman.schroeder@hm.edu
Dominique Dias (Grenoble), E-Mail: dominique.dias@univ-grenoble-alpes.fr

Liste der Vortragenden und Vortragstitel
Abstracts
Zeitplan

Die Medienlinguistik hat in den letzten Jahren zunehmend Texte und Textsorten im digi­talen Raum als Forschungsgegenstand in den Blick genommen. Die vorhandenen Studien untersuchen die Übertragbarkeit analoger Text(sorten)konzeptionen auf den digitalen Raum (Storrer 2008; Reutner/Schröpf/Rentel 2014) oder entwickeln neue An­sätze zur strukturellen Beschreibung digitaler Texte (Jucker/Dürscheid 2012; Gru­ber/Grübl/Scha­ringer 2021). Erforscht werden ebenso Aspekte der Multimodalität (Stöckl 2004, Eck­krammer/Held 2006), die sprachliche Mikrostruktur (Rentel/Schröder 2018; Kluge/Mi­hatsch/Schaller 2020) und die Pragmatik (Yus 2011) digitaler Texte, welche sich häufig durch Dialogizität und Spontaneität auszeichnen. Zusätzlich stehen Phänomene der Hy­bri­disierung (Dias 2017) und der Ausdifferenzierung (Hauser/Lu­gin­­bühl 2015) von Tex­ten als Konsequenzen der Digitalisierung im Zentrum des Interesses. Als Untersu­chungs­ge­gen­stand dienen dabei digitale Medien und Dienste, die vorwiegend asyn­chro­nen Cha­rakter haben, jedoch unterschiedliche Dialogi­zi­täts­po­tenziale aufweisen (Twit­ter, Face­book und Instagram vs. E-Commerce-Portale und Rezensionsplattformen).

Auch aus der Romanistik liegen bereits medienlinguistische Forschungsergebnisse vor; den­noch ist insbesondere für die romanischen Sprachen weiterhin erheblicher For­schungsbedarf zu digitalen Texten zu konstatieren, sowohl in theoretisch-metho­discher als auch in anwendungsorientierter Sicht. Auch besteht nach wie vor er­heb­licher Bedarf an Studien mit größeren Korpora sowie an Untersuchungen kul­tur­kontrastiver Natur. Dieser Bedarf betrifft die Musterhaftigkeit, Dialogizität, Hybridität, Multimodalität, Prag­matik und die sprachlichen Oberflächenstrukturen von Texten und Kommu­ni­ka­tions­for­men im virtuellen Raum sowie Bezüge und Parallelen zu analogen Texten.

Die Frage nach den Konsequenzen der Digitalisierung für textuelle und sprachliche Struk­tu­ren hat durch die exponentiell gestiegene Nutzung digitaler Werkzeuge wäh­rend der ver­gangenen zwei Jahre nochmals deutlich an Brisanz gewonnen. Neben den bereits etablierten – vorwiegend asynchronen – Online-Diensten ermöglichen synchrone Dienste wie Zoom, Teams und WebEx die Herstellung „virtueller Präsenz“ und zeichnen sich dabei durch komplexe Multimodalität und vielschichtige Dialog- und Interaktionsstrukturen aus: Gesprochene und geschriebene Sprache, Kamerabild und geteilte Bildschirminhalte manifestieren sich parallel und stehen in engen Wech­sel­beziehungen. Aus linguistischer Sicht stellt sich die Frage nach dem Zusammenwirken der Modalitäten im Virtuellen, nach Anpassungen bisheriger kommunikativer Reper­toires bzw. nach der Herausbildung neu­er Handlungsmuster („Dein Mikro ist stumm!“, „Hört man mich jetzt?“). Sowohl in syn­chronen als auch asynchronen Medien ist zu untersuchen, wie „virtuelle Präsenz“ sprachlich ausgehandelt wird („Man sieht dich nicht!“, „Ich muss mal kurz meine Kamera ausmachen“), welche Strategien der Ge­sprächs­organisation sichtbar werden („Sprecht einfach rein, wenn ihr was sagen wollt!“, „Kannst Du mich bitte zum Host machen?“) und wie Konflikte ausgetragen werden. Zusätzlich stellt sich die Frage, wie sich Virtualität auf Stra­tegien der Nähe und der Distanz auswirkt und inwiefern textlinguistische Konzepte geeignet sind, um neu entstandene Muster einzuordnen oder intertextuelle Bezüge zu be­schreiben.

Im Rahmen der Sektionsarbeit sollen sprachlich-textuelle Merkmale asynchroner und syn­­chroner virtueller Kommunikation aus dezidiert romanistischer Perspektive und unter verschiedenen Blickwinkeln behandelt werden. Erwünscht sind einzel­sprach­be­zo­gene Beiträge sowie sprach- und kulturkontrastiv angelegte Studien. Die nach­­fol­genden The­menbereiche verstehen sich als Auswahl bzw. Anregung. Weitere Aspekte und Pro­blem­stellungen sind willkommen.

  • Aspekte der Übertragung etablierter Textsorten in den virtuellen Raum
  • Nähe und Distanz in virtueller Kommunikation
  • Dialogizität in virtueller Kommunikation
  • Konflikte in virtueller Kommunikation
  • Virtuelle Selbstinszenierung in sozialen Netzwerken
  • Virtuelle Gesprächsorganisation
  • Kommunikative Inszenierung oder Überbrückung von „Präsenz“ in virtuellen Formaten
  • Konzeptualisierungen von „Raum“ in virtueller Kommunikation
  • Vergleich von Interaktionsmustern im analogen und virtuellen Raum
  • Sprachhandlungen in Präsenz und ihre Äquivalente im virtuellen Raum
  • Neue Sprachhandlungsmuster und kommunikative Repertoires im virtuellen Raum
  • Multimodales Zusammenwirken im virtuellen Raum
  • Chat-Interaktion in Videokonferenzen
  • Chat-Kommentare von Präsenzveranstaltungen durch online zugeschaltete Nutzer
  • Interaktionale Linguistik in synchronen virtuellen Diensten

Bibliographie

Dias, Dominique (2017): „Journalistische Rezensionen: Entstehung einer Textsorte durch Inter­fe­ren­zen?“ In: Colin, Nicole/Farges, Patrick/Taubert, Fritz (Hrsg.): Annäherung durch Konflikt: Mittler und Vermittlung. Synchron Verlag, 2017, S. 225-233.

Eckkrammer, Eva Martha/Held, Gudrun (2006): „Textsemiotik – Plädoyer für eine erweiterte Konzeption der Textlinguistik zur Erfassung der multimodalen Textrealität“. In: Eckkrammer, Eva Martha/Held, Gudrun (Hrsg.): Textsemiotik. Studien zu multimodalen Texten. Frankfurt am Main: Lang (Sprache im Kontext; 23), S. 1-9.

Gruber, Teresa/Grübl, Klaus/Scharinger, Thomas (Hrsg.) (2021): Was bleibt von kommunikativer Nähe und Distanz? Mediale und konzeptionelle Aspekte sprachlicher Variation (ScriptOralia; 144). Tübingen: Narr.

Hauser, Stefan/Luginbühl, Martin (2015): „Hybridisierung und Ausdifferenzierung – Einführende be­griffliche und theoretische Anmerkungen“. In: dies. (Hrsg.): Hybridisierung und Aus­diffe­ren­zierung. Kontrastive Perspektiven linguistischer Medienanalyse. Frankfurt am Main: Lang, S. 7-25.

Jucker, Andreas/Dürscheid, Christa (2012): „The Linguistics of Keyboard-to-screen Communication. A New Terminological Framework“. In: Linguistik Online 56, 6, S. 39-64.

Kluge, Bettina/Mihatsch, Wiltrud/Schaller, Birte (Hrsg.) (2020): Kommunikationsdynamiken zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Festschrift für Barbara Job zum 60. Geburtstag (ScriptOralia; 145). Tübingen: Narr.

Rentel, Nadine/Schröder, Tilman (Hrsg.) (2018): Sprache und digitale Medien. Frankfurt am Main: Peter Lang (Studien zur Translation und Interkulturellen Kommunikation in der Romania; 4).

Rentel, Nadine/Reutner, Ursula/Schröpf, Ramona (Hrsg.) (2014): Lingüística mediática y traducción audio­visual. Estudios comparativos español-alemán. Frankfurt am Main: Peter Lang (Studien zur Translation und Interkulturellen Kommunikation in der Romania; 2).

Stöckl, Hartmut (2004): Die Sprache im Bild – das Bild in der Sprache. Zur Verknüpfung von Sprache und Bild im massenmedialen Text; Konzepte, Theorien, Analysemethoden. Berlin: de Gruyter (Lin­guistik: Impulse und Tendenzen; 3).

Storrer, Angelika (2008): „Hypertextlinguistik“. In: Janich, Nina (Hrsg.): Textlinguistik. 15 Einführungen. Tübingen: Narr (Narr Studienbücher), S. 315-331.

Yus, Francisco (2011): Cyberpragmatics. Internet-mediated communication in context. Amsterdam: John Benjamins.